Leseprobe „Goslars Pfalzbezirk und die Domkurien“

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Literatur zum Vorwort
In memoriam Dr. Friedrich Borchers
Einleitung
a) Die Organisation des Domstiftes
b) Die Wohnungen der Kanoniker

A. Zur Topographie des Pfalzbezirkes
  1. Die Entstehung Goslars
  2. Die Domimmunität
  3. Die Auflösung der vita communis
  4. Der Pfarrbezirk St .Thomas
  5. Beziehungen Markt-Domimmunität
  6. Befestigungsanlagen
  7. Straßen und Wege
  8. Hausnamen
  9. Die Bewohner der Häuser im ehem. Pfalzbezirk im Jahre 1600
B. Geschichte und Baugeschichte der einzelnen Stiftskurien

a) In der „Domburg“

  1. Die Propstei
  2. Die Dechanei
  3. Die Scholasterei
  4. Zwei Kurien
  5. Die Kämmerei
  6. Die Kantorei
  7. Die Kurie des Supernumerarius
  8. Stoben: und Vikariatskurien
  9. Kurien in der engeren Immunität
  10. Der „Schitt“, Glockengießerstr.1
  11. Buden und Vikariatskurien Wallstr. 24, 25
  12. 11 Der „Münsterhof“,Glockengießerstr. 1a
  13. Die „Senioratskurie“, Glockengießerstr. 2
  14. Das „Oberhaus“, Glockengießerstr. 2,
  15. Die „Eulenburg“, Glockengießerstr. 3
  16. Das „Raupennest“, Glockengießerstr. 82-84
  17. Der „Hagen“, Glockengießerstr. 87
  18. Der Baublock zwischen der Königstraße und der Amtsdorfgasse
    • 18.A Die „Schöne Ecke“, Klapperhagen – Königstr. 1
    • 18.B Die Andreaskapelle und die Grundstücke am Klapperhagen
    • 18.C Grundstücke entlang der Königstraße
  19. Der „Schwiecheldthof“, Königstr. 7
  20. Die „kleine Walachei“, Königstr. 3, 4
  21. Der „Schwarze Adler“, Gockengießerstr. 80
  22. Die „Rose“, Hoher Weg 12
    • 22.A Grundstücke zwischen der Küsterei und dem Klapperhagen
    • 22.B Die Niederlassungen der Deutschordensritter und der Beginen
    • 22 C Die Münzerhalle der Küsterei
  23. Die Kurie „von Fabrice“, Hoher Weg 8
  24. Die Kemenate im Großen Heiligen Kreuz

Literatur und Anmerkungen zu den Kurien in der engeren Immunität

C Die Wirtschafts- und Sozialstruktur in der. engeren Immunität

Anmerkungen und Literatur zu diesem Abschnitt

D Die bauliche Gestalt der Goslarer Kurien
E Die Kurien als Vorbild für das bürgerliche Bauwesen

Anmerkungen und Literatur zu den Abschnitten D und E

F Innenausstattungen

Anmerkungen und Literatur zu diesem Abschnitt 182

Bautechnische Angaben in Urkunden

Erläuterung der vorkommenden Fachausdrücke

Verzeichnis der Abbildungen

Orts- und Sachregister

Personenregister

 

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Vorwort

Arbeiten zur Stadtgeschichte, die – aus welchen Gründen auch immer – in einer Schublade verborgen liegen, sind für weitergehende Forschungen verloren. Materialien und Ergebnisse müssen bei Gelegenheit erneut mühsam erarbeitet werden. Ich habe im Verlauf meines Lebens mehrfach solche „Hinterlassenschaften“ mit der Bitte bekommen, diese aufzuarbeiten und zu veröffentlichen. 1) Mir sind die damit verbundenen Freuden und Leiden deshalb bekannt, und es berührt mich besonders, selbst davon betroffen zu sein.

Seit 1967 liegt ein Manuskript von mir über „Goslars Pfalzbezirk die Domkurien“ in der Schublade. Dafür war ein während des 2. Weltkrieges entstandenes und nicht veröffentlichtes Manuskript von Dr. Friedrich Borchers, dem Bewohner der Senioriatskurie des Domstiftes, über die Geschichte dieses Hauses eine Grundlage. 2) Als Vorsitzender des Museumsvereins hatte er nach dem Krieg die Stiftung seines Vorfahren wieder eingerichtet. Ich half ihm dabei als Schriftführer und wurde 1950 sein Grundstücksnachbar.

In den Bombenalarmnächten des 2. Weltkrieges hatte er aus dem Stadtarchiv Akten des Domstiftes, die damals noch nicht registriert und erschlossen waren, mit in den Luftschutzkeller genommen und nach Hinweisen über die Geschichte seines Hauses gesucht. Aus den Zetteln stellte er 1945/46 ein Manuskript „Dom und Haus“ zusammen, um seine Mühen wenigstens lesbar zu machen. Ein Schreibmaschinenexemplar übergab er mir kurz vor seinem Tod im Herbst 1957 zur weiteren Verwendung.

Das Thema reizte mich, denn bisher war in der Goslarer Forschung über die Stiftskurien kaum etwas erarbeitet worden. Außerdem versprach das Thema eine ideale Verbindung zwischen der topographischen Stadtentwicklung, dem Hausbau mit der sozialen Komponente, einer Feststellung der jeweiligen Besitzer und mit deren Wohn- und Repräsentationsbedürfnissen. Außerdem konnte man einer Wechselwirkung zwischen der Konstruktion und der Gestaltung einer Kurie und einem Bürgerhaus bei dieser Gelegenheit nachgehen. Das waren Themen, die einem heimatkundlich interessierten Architekten und Hausforscher lagen.

Zuvor mußte jedoch das Material von Dr. Borchers vor allem im Hinblick auf die übrigen Kurien ergänzt werden. Außerdem waren Aufmaße der erhaltenen Baulichkeiten nötig. Da sich meine berufliche Arbeitszeit mit den Öffnungszeiten des Stadtarchivs überschnitten, war dort nur eine begrenzte Einsicht möglich. Allerdings half der damalige Stadtarchivar Dr. Bruchmann durch Hinweise während seiner Erfassung der Bestände aus. Überwiegend wurden jedoch Druckschriften und die mir im Bauamt zugänglichen Akten ausgenutzt.

Nachdem schon 1959 für mein Buch „Das Goslarer Bürgerhaus“ 3) einige Ergebnisse mitgenutzt werden konnten, war nach rd. 10jähriger Vorbereitungsarbeit der erste Abschnitt einer gedachten mehrteiligen Reihe druckreif. Es erschien in dem Jubiläumsband der 1968 100jährigen Harz-Zeitschrift. 4) Damals war ich Schriftführer des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde, der die Zeitschrift herausgab. Der Nachfolger von Dr. Bruchmann als Leiter des Stadtarchivs Goslar, Dr. Hillebrand, war geschäftsführender Vorsitzender des Vereins.

Dieser stoppte den vorbereiteten 2. Teil der Veröffentlichung, der die Baubeschreibung der Kurien, einige der Aufmaße und die Zusammenstellung der Besitzer im Verlauf der Jahrhunderte enthalten sollte. Seine zutreffende Begründung war, daß die Nachrichten über die Besitzer und deren Zuweisung zu den verschiedenen Kurien nicht ausreichend belegt waren und die Aufzählung nicht den Ansprüchen, die an Urkundenregesten gestellt werden müssen, genügen. Gemeint war damit die unterschiedliche Form der teils wörtlichen Zitate in einer Mischung mit eigenen Inhaltsangaben der Urkunden, außerdem die vereinzelten, dort nicht weiter spezifizierten Übernahmen aus dem Manuskript Dom und Haus.

 

 

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Eine Vereinheitlichung der Nachrichten über die Besitzer in Form vollständiger Regesten wäre mit einem für mich nicht möglichen Zeitaufwand verbunden gewesen. Inzwischen war auch im Archiv eine Neuordnung der Bestände nach deren Umzug von der Marktstr. 1 zur Zehntstr. 24 mit Neunummerierungen erfolgt.5) Ich habe deshalb damals das Manuskript abgelegt und nicht weiter bearbeitet. Auch jetzt ist diese Ergänzung nicht erfolgt, weil inzwischen durch die Auslagerung der Archivbestände für einen unbekannten Zeitraum ein weiteres Erschwernis eingetreten ist. Ziel der Arbeit ist es nicht, die notwendige Erschließung von Archivmaterial durch Urkundenregesten als Fortsetzung der nur bis 1400 reichenden Urkundenbücher Goslars, sondern eine Untersuchung zur Sozialstruktur der Besitzer und Bewohner der Kuriengrundstücke.

Dazu wäre es nicht zwingend notwendig gewesen, die Nachrichten den einzelnen Kurien zuzuweisen. Eine schichtenspezifische Zusammenfassung hätte ausgereicht und unsichere Zitate wären nicht aufgenommen worden. Der im ersten Teil veröffentlichte und geglückte Versuch, die Bewohner des Pfalzbezirks im Jahre 1600 aufzulisten und den einzelnen Häusern zuzuordnen, reizte jedoch, dies auch für die davor und danach liegende Zeit zu versuchen. Sollte wirklich ein Bewohner einer falschen Kurie zugeordnet worden sein, hätte dies für das Untersuchungsergebnis keine Bedeutung. Ich wage es deshalb, diesen Teil in der vorgesehenen Form unverändert zu veröffentlichen.

Neu geschrieben wurden die in der 1968er Fassung nur durch einige Stichworte festgehaltenen Abschnitte über „die Wirtschafts- und Sozialstruktur in der engeren Immunität“, über die „bauliche Gestalt der Goslarer Kurien”“ und über „die Kurien als Vorbild für das bürgerliche Bauwesen“. Dabei war für die beiden letztgenannten Abschnitte ein weit größerer Umfang vorgesehen, etwa über die mittelalterlichen Steinbauten und Kemenaten. Hier gibt es noch ein ertragsreiches Material über den spätromanischen Profanbau Goslars aufzuarbeiten.

Für die nachträglich geschriebenen Ergänzungen ist nicht in dem gleichen Maß wie bei den beiden ersten Abschnitten Wert auf die Hinweise zu vergleichbaren oder weiterführenden Arbeiten gelegt worden. Auch einige Wiederholungen zu Ausführungen im Teil C sind beabsichtigt, weil der Benutzer vermutlich unterschiedlich oder nachschlagend das Buch lesen wird.

1967 war vorgesehen, die Arbeit abschnittsweise in der Harz-Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde zu veröffentlichen. Auch dafür war es notwendig, einige Erkenntnisse aus den vorherigen Teilen wieder aufzugreifen, um diese weiter zu entwickeln. Erschienen ist jedoch 1968 nur der erste Abschnitt. Bei der jetzt vorliegenden Veröffentlichung ist die damalige Einteilung beibehalten und nur wenige Ergänzungen z.B. durch die Angabe neuerer Veröffentlichungen vorgenommen worden.

Insgesamt wird dieses Manuskript deshalb eine „Aufräumarbeit“ der Schublade bleiben, der der letzte Schliff fehlen mag.

 

 

 

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Literatur und Anmerkungen zum Vorwort

 

  1. Beispiele dafür, weil sie das Thema Goslarer Dom tangieren:

Ein Goslarer Kronleuchter in Münnerstadt. Harz-Ztschr. 94 Jg. 1961, S. 103-117 (= V.Cc. Habicht)

Der Goslarer Seidenrock des Marienbildes aus der Harzburger Burgkapelle. Harz-Ztschr. 97. Jg. 1964, S. 113-125 (= K.B.Fischer)

Die alte Kapelle in Lochtumg. Harz-Ztschr. 98. Jg. 1965, S. 123-144 (= F.K.Becker)

Bonhoff, Fr. u. H.G.Griep, Goslarer Wappenrolle, Goslar 1981

Büttner / H.-G. Griep, Goslarer Münzen – Politik – Währung – Recht Museumsverein Goslar 1990

In jedem Fall ergaben sich aus der Neubearbeitung wesentliche Abweichungen von dem ursprünglichen Text, die Neufassungen notwendig machten.

2. Dr. Friedrich Borchers, Dom und Haus. Manuskript 1946, Exemplar im Stadtarchiv

3.  Griep, H.G. Das Goslarer Bürgerhaus, Bd. I der Reihe Das deutsche Bürgerhaus, Tübingen 1959

4. Griep, H.G. Goslars Pfalzbezirk und die Domkurien. Harz-Ztschr. Jg. 100/101, 1967/68, S. 205-251

5. Es fehlt leider ein Verzeichnis der ehemaligen „vorläufigen Signaturen“, die von Dr. Borchers und mir benutzt worden sind, im Vergleich mit den von Dr. Hillebrand eingeführten „endgültigen“. Eine Korrektur wird dadurch erschwert und wäre sehr zeitaufwendig.

 

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In memoriam Dr. Friedrich Borchers

Dr. Friedrich Borchers hatte als Eigentümer und Bewohner der Senioratskurie des Domstiftes (Glockengießerstr. 2) stets ein besonderes Interesse an Forschungen zur Stadt- und Kunstgeschichte. Während des 2. Weltkrieges verzettelte er Angaben aus archivalischen Quellen und aus der Literatur für ein Buch „Dom und Haus“.

Kurz vor seinem Tode überreichte er uns im Herbst 1957 eine Ausfertigung des Manuskriptes, eine weitere wurde in das Stadtarchiv Goslar eingestellt. Schon 1947 hatte er in den „Mitteilungen aus dem Archiv der Stadt Goslar“1 einen kurzen Hinweis darauf veröffentlicht, in dem er schrieb: „Diese Arbeit,… war für meine Kinder bestimmt, denen ich die Geschichte des Hauses, in dem sie groß geworden sind und in dem auch schon vier Generationen ihrer Vorfahren gelebt haben, erzählen wollte… Geschichtsschreibung im wissenschaftlichen Sinne war nicht beabsichtigt…“

Entsprechend solcher Zielsetzung wäre ein Abdruck der Arbeit in dieser Zeitschrift unzweckmäßig gewesen. Seit dem Abschluß derselben im Jahre 1945 sind außerdem eine Reihe von Veröffentlichungen erschienen, die im Zusammenhang mit vergleichbaren Untersuchungen in anderen Städten2 zu der hier vorgelegten selbständigen Arbeit geführt haben. Die besondere Erwähnung des anregenden Manuskriptes von Dr. Friedrich Borchers sei ein Ausdruck dankbarer Erinnerung.

1 Borchers, Dom und Haus. — in: Mitt. a. d. Archiv d. Stadt Goslar, Jg. 1947, Nr. 1.

2 Neuere Literatur zur Stadtkernforschung: W. Gerlach, Alte und neue Wege in der Stadtplanforschung. Ein Beitrag zur historisch-topographischen Poligraphie. — Hans. Gesch.-Bll., Jg. 60 (1935), S. 208—221; E.Ennen, Frühgeschichte der europäischen Stadt. — Bonn 1953 (mit umfangreichem Quellen- u. Literaturnachweis); H. Jankuhn, Zur Topographie frühmittelalterlicher Stadtanlagen im Norden und zur Soziologie ihrer Bewohner. — In: Beiträge zur Landeskunde Schleswig- Holsteins. Oskar Schmieder z. 60. Geburtstag. (Schr. d. Geogr. Inst. d. Univ. Kiel, Sonderbd.). — Kiel 1953, S. 81—104; H. Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter von der Römerzeit bis zu den Zunftkämpfen. — Graz/Köln 1954; E. Lehmann, Bemerkungen zu den baulichen Anfängen der deutschen Stadt im frühen Mittelalter. — In: La citta nell’ alto medioevo. (Settimane di studio del centro italiano di studi sull‘ alto medioevo, 6). — Spoleto 1959, S. 559-590; Archäologische Methoden und Quellen zur Stadtkernforschung und ihr Verhältnis zu den historischen Quellen und Methoden. [Tagungsprotokoll]. — In Westfälische Forsch., Bd. 13 (1960), S. 181—194; K. Bosl, Probleme der Städteforschung in Bayern. — in: Schönere Heimat, Jg. 52 (1963), S. 71—77; W. Gerlach, Stadtgestaltungsforschung. — In: Studium Generale, Jg. 16 (1963), H. 6, S. 323—345. Im gleichen Heft, S. 345-351: E. Keyser, Der Stadtgrundriß als Geschichtsquelle u. S. 351—379: E. Egli, Der Städtebau des Mittelalters; E. Herzog, Die ottonische Stadt. — Berlin 1964; P. Grimm, Zum Stand der archäologischen Erforschung der Stadtentwicklung in der DDR. — In: Die Zeit der Stadtgründung im Ostseeraum. (Acta Visbyensia, 1). — Uppsala 1965, S. 224—252. Methodisch interessant ferner: G. Illert, Skizze der Entwicklung der Stadt Worms von der vorgeschichtlichen Zeit bis zum Hochmittelalter. — In: Der Wormsgau, Bd. 3 (1951—1958), S. 232—239 u. A. Fuhs, Gelnhausen. Städtebaugeschichtliche Untersuchung. — Marburg 1961 (Veröff. d. Hist. Komm. f. Hessen u. Waldeck, Bd. 25).

 

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Einleitung

Aus dem großen Komplex der Kaiserpfalz Goslar haben sich die Historiker und Kunstgeschichtler bisher bevorzugt mit der Rechtsgeschichte? und der Bau- und Kunstgeschichte3 von „Kaiserhaus“ und Dom beschäftigt. Wir wollen die bisher vernachlässigten Domkurien behandeln und dabei zwei Problemen nachgehen: der Bedeutung der Auflösung des gemeinsamen Lebens der Domherren für die Bildung des Stadtorganismus und der Entwicklung der baulichen Gestalt der Kurien.

Die erste Aufgabe ist ein Beitrag zur Topographie und Stadtkernforschung. Sie kann in der vorliegenden Fassung nur lückenhaft sein und beruht mangels einer ausreichenden schriftlichen Überlieferung weitgehend auf der Benutzung von Forschungsergebnissen in anderen vergleichbaren Städten. Topographie, Flur-, Haus- und Straßennamen, Bodenfunde, alte Pläne und Abbildungen füllen weitere Lücken in der historischen Überlieferung. Wir hoffen, dadurch ein — in den Einzelheiten zwar unscharfes und vielfach nicht zweifelsfreies — Bild von einem entscheidenden Abschnitt der topographischen Frühgeschichte Goslars aufzeigen zu können.

Die noch erhaltenen und die nach alten Plänen und Abbildungen rekonstruierbaren Domkurien sind bisher noch nicht bearbeitet worden. In dem Kunstdenkmalsband5 wird dazu sogar ausgeführt: „So sind die Stiftskurien der Domherren, davon um 1810 noch acht übrig waren, allesamt verschwunden. Wir brauchen uns daher an dieser Stelle damit nicht zu beschäftigen.“ Die erhaltenen sind zu einem Teil dann ohne Erwähnung ihrer einstigen Bedeutung im Abschnitt Wohnhäuser aufgezählt. Auch in dem Kaiserpfalzband von U. Hölscher6 werden lediglich im Lageplan des Pfalzbezirks Hinweise auf die Lage der Kurien gegeben, die vor ihrer Benutzung durch das Domstift Ritterkurien gewesen sind.

 

3 C. Borchers, Villa und civitas Goslar. Beiträge zur Topographie und zur Geschichte des Wandels der Bevölkerung der Stadt Goslar bis zum Ende des 14. Jahrhunderts. — Zeitschr. d. Hist. Ver. f. Nieders., Jg. 1919, S. 1—102; K. Frölich, Das Goslarer Domstift in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses zwischen Stadtgemeinde und Kirche im Mittelalter. — Zeitschr. d. Savigny-Stift. f. Rechtsgesch., Germ. Abt., Bd. 41 (1920), S. 84—156; K. Frölich, Zur Topographie und Bevölkerungsgliederung der Stadt Goslar im Mittelalter. — Hans. Gesch.-Bll., Jg. 46 (1920/21), S. 127—173 (zugleich kritische Besprechung von K. Borchers, Villa und civitas Goslar); K. Frölich, Die Verfassungsentwicklung von Goslar im Mittelalter. — Zeitschr. d. Savigny- Stift. f. Rechtsgesch., Germ. Abt., Bd. 47 (1927), S. 287—486; K. Frölich, Bei- träge zur Topographie von Goslar im Mittelalter. — Z. Harz.-Ver., Jg. 61 (1928), S. 146-187; K. Frölich, Zur Vor- und Frühgeschichte von Goslar. — Nieders. Jb., Bd. 4 (1929), S. 224—264, Bd. 7 (1930), S. 265—320 u. Bd. 9 (1932), S. 1-51.

4 U. Hölscher, Die Kaiserpfalz Goslar. — Berlin 1927 (Die deutschen Kaiserpfalzen, I). Dazu kritische Besprechung von G. Denecke in: Z. Harz-Ver., Jg. 61 (1928), S. 194—200.

5 A. v. Behr u. U. Hölscher, Stadt Goslar. (Die Kunstdenkmäler der Prov. Hannover, II 1 u. 2). — Hannover 1901, S. 66/67.

6 U. Hölscher,a. a. O. [Anm. 4].

 

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Wir konnten bei anderer Gelegenheit7 nur die Bezeichnung „Kurie des Domstiftes“ im Häuserverzeichnis angeben und mußten uns mit der allgemeinen Feststellung begnügen, daß bei der Entwicklung des Haustyps und der Schmuckformen keine wesentlichen Unterschiede zwischen einem Bürgerhaus und einer Kurie in Goslar erkennbar sind. Diese Angabe wird hier erhärtet. Hervorgehoben werden sollen allerdings die Tendenzen, die sich im Sinne einer gegenseitigen Beeinflussung bemerkbar machen und die unsere Untersuchungen über die Geschichte des Goslarer Bürgerhauses ergänzen können.

  1. Die Organisation des Domstiftes

Zum Verständnis der nachfolgenden Ausführungen ist eine kurze und stark vereinfachte Übersicht über die Organisation des Domstiftes erforderlich. Es handelt sich hier um ein Kollegiatstift. Die Geistlichen lebten nach den vom Bischof Chrodegang von Metz um 760 auf der Grundlage der Regeln des Hl. Benedikt aufgestellten, von der Aachener Synode 816 für verbindlich erklärten, Kanonischen Vorschriften zusammen. Sie wurden daher Kanoniker (canonici) genannt8. Die Zwölfzahl der Kanoniker war zunächst vielfach üblich, wurde aber insbesondere in der Goslarer Kaiserzeit nicht fest beibehalten. Die Regeln verlangten zwar von den Kanonikern bestimmte kirchliche Pflichten, wie die Abhaltung regelmäßiger Chorstunden, sonst waren sie aber — im Vergleich etwa mit einem Orden — großzügig angelegt.

Die wichtigste Tätigkeit übten die Kanoniker in Goslar im Dienste des Kaisers aus. Sie bildeten einen Großteil der kaiserlichen Hofkapelle9. In ihrer

 

7 H.-G. Griep, Das Bürgerhaus in Goslar. (Das deutsche Bürgerhaus, Bd. 1). — Tübingen 1959, S. 129 ff. 8 K.H. Schäfer, Pfarrkirche und Stift im deutschen Mittelalter. — Stuttgart 1902 (Kirchenrechtl. Abh., H. 3); K. H. Schäfer, Die Kanonissenstifter im deutschen Mittelalter. Ihre Entwicklung und innere Einrichtung. — Stuttgart 1907 (Kirchenrechtl. Abh., H. 43/44); Th. Gottlob, Der abendländische Chorepiskopat. — Bonn 1928 (Kanon. Stud. u. Texte, 1); H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. — Köln/Graz *1964 (1.) Die Katholische Kirche, S. 197 ff.

UB Goslar I, Nr. 67 (1057) Papst Viktor II. über das Domstift:… positam loco Goslaria, ubi fratres sunt sub canonica regula…

9 W. Gesler, Der Bericht des Monachus Hamerslebiensis über die „Kaiserliche Kapelle“ S. Simon und Juda in Goslar und die Beförderung ihrer Mitglieder. Phil. Diss. Bonn 1914. Besprechung in: Zeitschr. d. Savigny-Stift. £. Rechtsgesch., Bd. 35 (1914), Kanon. Abt. 4, S. 517—518 (W. Lüders) u. Hist. Z., Bd. 115 (1916), S. 445—446; A. Bertram, Geschichte des Bistums Hildesheim. Bd. 1. — Hildesheim 1899, S. 103 £., 137, 296 u. 303; G. Koch, Manegold v. Lautenbach und die Lehre von der Volkssouveränität und Heinrich IV. — Berlin 1903 (Hist. Stud. Eb., H. 34); P. Kehr, Vier Kapitel aus der Geschichte Kaiser Heinrichs III. — Abh. d. Preuß. Akad. d. Wiss., Jg. 1930, Phil. Hist. Kl., Nr. 3, S. 7; („Goslarer Schreibschule“ im Dom) MG. DH IIL, S. XLIX u. LV £.; A. Schulte, Deutsche Könige, Kaiser, Päpste als Kanoniker an deutschen und römischen Kirchen. — Hist. Jb., Bd. 54 (1934), S. 137—177; H. W. Klewitz, Cancellaria. Ein Beitrag zur Geschichte des geistlichen Hofdienstes. — Deutsch. Arch. f. Gesch. d. M.-A., Jg. 1 (1937), S. 44—79; Ders., Königtum, Hofkapelle und Domkapitel im 10. und 11. Jahrhundert. — Arch. f. Urk.-Forsch., 16 (1939), S. 102—156 (als Buch: Darmstadt 1960); J. Flecken- stein, Die Hofkapelle der deutschen Könige. Bd. 1—2. (Schr. d. Mon. Germ. Hist., Bd. 16, T. 1-2). — Stuttgart 195966, Besprechung von Teil 1 in: Rhein. Vierteljahrsbll., Jg. 26 (1961), S. 100—104. Weniger beachtet wurde bisher, daß die Stiftsherren auch für die Totenoffizien in den Grabkirchen mittelalterlicher Herrscher da waren: Im Goslarer Dom ruhte das Herz Kaiser Heinrichs III. Vgl. dazu: E. Lehmann, Die Architektur zur Zeit Karls des Großen. — In: Karl der Große. Bd. III. — Düsseldorf 1965, S. 301 bis 319, hier S. 303

 

 

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Domschule wurden hohe Geistliche, geschulte Berater des Kaisers und lese- und schreibkundige Hofbeamte ausgebildet. Nur die letzte Aufgabe blieb nach dem Ende der Kaiserzeit noch übrig, bis auch diese in den Wirren der Reformation von der aufblühenden Ratsschule übernommen wurde. Danach war die Mitgliedschaft zum Domkapitel eine reine Pfründe. Die Mitglieder verwalteten nur noch den Besitz des Stiftes und verteilten die Einkünfte unter sich.

Folgende Zusammensetzung des Domkapitels10 und der Ämter der Mitglieder sind überliefert:

Die erste Persönlichkeit des Stiftes, die „erste Dignität“ war der Propst. Er leitete die äußeren Angelegenheiten. Da ihn meist der Kaiser in seinen Dienst nahm, hatte er jedoch praktisch nichts mit den Stiftsverhältnissen zu tun und war nicht zur Residenz verpflichtet. In der Kaiserzeit hatte er eine sichere Anwartschaft auf einen Bischofsstuhl11. Die Einkünfte aus seinem Propsteiamt waren praktisch ein Entgelt für seine Tätigkeit am kaiserlichen Hof. Sie wurden deshalb schon im 12. J ahrhundert von dem übrigen Stiftsvermögen abgetrennt. Seit 1323 übernahm ein Generalvikar die Propsteiverwaltungsrechte des Stiftes.

Die „zweite Dignität“ war der Dekan oder Dechant. Im Gegensatz zur Vertretung des Stiftes nach außen durch den Propst hatte er für die innere Ordnung, die Seelsorge und den Gottesdienst zu sorgen, auch besaß er eine gewisse Disziplinargewalt über die Stiftsangehörigen. Er sollte Priesterweihe haben und unterlag einer stärkeren Residenzpflicht. Seit 1230 stand er an der Spitze des Kapitels, dessen Beschlüsse er in der Ausführung zu überwachen hatte. Seine Einkünfte waren doppelt so hoch wie die eines Kanonikers (doppelte Präbende).

An dritter Stelle stand der Scholastikus. Er leitete als „lehrfähiger, vollkommen erprobter Mann“ die Stiftsschule, hatte Disziplinargewalt über die Scholaren und konnte die Magister berufen und absetzen. Er führte den geistlichen Unterricht, den weltlichen ein Vikar. Er hatte u. a. Einkünfte aus der Maria-Magdalenenkapelle und aus der Kirche Unserer Lieben Frauen. Unter den Kanonikern, aus deren Mitte er genommen war, rangierte er nach der Anciennität.

 

10 G. Nöldecke, Verfassungsgeschichte des kaiserlichen Exemtstiftes SS. Simonis et Judae zu Goslar von seiner Gründung bis zum Ende des Mittelalters. Phil. Diss. Göttingen 1904; R. Meyer, Die Domkapitel zu Goslar und Halber- stadt in ihrer persönlichen Zusammensetzung im Mittelalter. — Göttingen 1967 (Stud. z. Germania sacra, ).

11 Eine Liste der so Beförderten bei E. Rothe, Goslar als salische Residenz. — Berlin 1940, S. 45-48.

 

 

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Die vierte Stelle nahm der Kustos ein, der im Kapitel ebenfalls nach der Anciennität eingeordnet war. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts verschwindet dieser Titel und statt dessen erscheint der eines Thesaurarius. Er war der „Schatzmeister“ und hatte die Aufsicht über die kirchlichen Gerätschaften, den Domschatz und die Reliquien. Ferner verwahrte er die Schlüssel zu dem Kapitelsiegel. Bei der Ausstellung der Reliquien hatte er Einnahmen aus den Opfergaben, die bei solchen Gelegenheiten reichlich flossen. Im Übrigen hatte er wie alle Kanoniker Anteil am Erlös aus dem Stiftsvermögen.

Nachdem der Propst als Leiter des Stiftes ausfiel, war das „Kapitel“, die Gemeinschaft aller Kanoniker, die einzige Instanz für die Verwaltung und die Rechtsgeschäfte des Stiftes. Eine gewisse Rangfolge ergab sich aus dem Alter: Senior, Subsenior und Kanoniker. Sie wählten aus ihrem Kreis den Dechanten, der den Vorsitz zu führen hatte. War er abwesend, übernahm der Senior seinen Platz. Die Vikare hatten, insbesondere nachdem die geistlichen Weihen der Kanoniker weitgehend aufgehört hatten, in einem „Anstellungsverhältnis“ die kirchlichen Funktionen zu übernehmen.

Für die Verwaltung des riesigen, meist aus Ländereien bestehenden Stiftsvermögens waren einige „Beamte“ eingesetzt. Der Dispensator, seit dem 14. Jahrhundert der Distributor generalis, war der Rechnungsführer. Er mußte zweimal im Jahr vor dem Kapitel einen Rechenschaftsbericht geben. Der Ökonom oder Syndikus hatte die Aufsicht über die Güter und die Vogtei im Namen des Kapitels. Der Provisor verwaltete das Sondereigentum des Propstes. Der Camerarius war eine Art Schriftführer. Er lud u. a. im Namen des Dekans zu den Kapitelsitzungen ein. Die Prokuratoren sammelten die Ab- gaben von den Meiereien und anderen Obedienzgütern ein. Die Vicedomini hatten ein geistliches Amt und wurden meist nur für bestimmte Aufgaben ernannt, die das Kapitel als Korporation oder als weltliche Instanz sonst nicht hätte durchführen können.

Zunächst hatte der Kaiser das alleinige Investiturrecht, und bis zuletzt wurden der Propst und der Scholaster von diesem eingesetzt. Beide waren immer katholisch, auch nachdem ab 1566 alle übrigen Stiftsherren evangelisch waren. Nach dem Ende der Kaiserzeit in Goslar hatte das Kapitel das Recht der Bestimmung neuer Mitglieder, soweit nicht besondere Rechte dritter zu beachten waren. So konnte der Kaiser die erste nach seinem Regierungsantritt frei werdende Kanonikerstelle besetzen. Dieses Recht wurde — zuletzt 1768 von Joseph II. — regelmäßig ausgeübt. Nachdem die Herzöge von Braunschweig das Stift in Erbschutz genommen hatten, konnten sie eine Kanonikerstelle besetzen. 1616 erreichte der Rat der Stadt Goslar die Berücksichtigung seiner Bürgersöhne bei der Vergabe von Präbenden. Über die Anzahl der Domherren kennen wir erst ab 1297 feste Daten. Damals setzte der Bischof Siegfried von Hildesheim die Zahl auf 24 herab. Um 1430 waren es 22. 1471 werden 17 Canonici und 21 Vikare genannt. 1645 wurde eine Vereinbarung zwischen dem Domstift und der Stadt geschlossen, nach der die Zahl der Stiftsmitglieder nicht über 8 gehen sollte. 1681 waren es nur noch 6. Bei der Auflösung des Domstiftes im Jahre 1802 hatten noch 8 ihre Stellen inne: der Dompropst, der Dechant, der Senior und der Subsenior, ferner gab es 4 Kanoniker. Nur 3 davon wohnten in Goslarer Kurien.

 

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